Während noch fleißig am dritten und letzten Teil des Final Fantasy VII Remakes gearbeitet wird, kommt mit Fantasian: Neo Dimension ein neues Spiel des ursprünglichen Erfinders der Reihe. Eigentlich genau richtig, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Aber wie viel Final-Fantasy-DNA steckt darin überhaupt noch? Und kann ein ehemaliges Handyspiel die verwöhnten Rollenspieler auf den großen Plattformen von sich überzeugen?
Sollte euch der Name Hironobu Sakaguchi so gar nichts sagen, dann folgt hier mal ein kleiner Ausflug in die Abgründe der Videospielgeschichte. Sakaguchi arbeitete 1987 als Entwickler bei Square (damals noch ohne Enix) und war beteiligt an der Produktion von so Hammer-Titeln wie The Death Trap (PC, 1984) und King’s Knight (SNES, 1986). Schließlich überredete er die Square-Chefetage, ihn ein eigenes RPG entwickeln zu lassen, inspiriert von Legend of Zelda, der Ultima-Reihe und anderen Fantasy-Games.
Unzufrieden mit seiner Berufswahl, beschloss er, alles auf eine Karte zu setzen. Wenn sein erstes eigenes Spiel kein Erfolg wird, würde er seinen Job hinschmeißen, zurück an die Uni gehen und seinen Traum verfolgen, Musiker zu werden. Da dieses FANTASY-Spiel also sein FINALes Projekt werden könnte, gab er ihm den ausdrucksstarken Namen Final Fantasy. Zu unser aller Glück (und zum Leidwesen seiner akademischen Laufbahn) wurde Final Fantasy auf Anhieb zu Squares bis dato größtem Erfolg und sollte die Firma und die Videospiel-Landschaft auf Jahrzehnte hinweg prägen.
Konsequenterweise folgten innerhalb der kommenden Jahre gleich mal fünf weitere FF-Teile. Final Fantasy VII, der erste Titel der Reihe auf der Playstation, sollte dann aber auch Sakaguchis letzter großer Beitrag zur Serie werden. Stattdessen nahm er eine Karriere als Regisseur und Filmemacher in Angriff, die nur einen Film später mit Final Fantasy: The Spirits Within auch schon wieder beerdigt wurde. Der Film floppte so hart, dass sogar die Fusion von Square mit Konkurrent Enix zu scheitern drohte. Sakaguchi verfiel daraufhin in tiefe Depressionen und kündigte seinen Job bei Square (kurz darauf dann doch mit Enix).
Nach einem Gespräch mit Akira Toriyama (ja, dem Dragonball-Erfinder) fasste er allerdings neuen Mut und gründete sein eigenes Entwickler-Studio Mistwalker. Und zack - kaum 20 Jahre später schreiben (ich) bzw. lesen (ihr) wir über sein neuestes Spiel Fantasian: Neo Dimension.
Der Apfel fällt nicht weit (genug) vom Stamm
Dabei ist das genaugenommen gar nicht mehr so neu. Ursprünglich erschien Fantasian nämlich bereits 2021 exklusiv für Apple Arcade. Alle nicht Apple-Jünger mussten also draußen bleiben. Jetzt dürfen allerdings auch Besitzer einer Switch, Playstation 4 und 5, Xbox Series X|S und PC in den Genuss des Titels kommen - ironischerweise dank Publisher Square Enix (mittlerweile definitiv mit Enix).
Inhaltlich ist die Neuauflage identisch zur letzten Fassung der Handyversion. Hinzu kommen allerdings eine englische und japanische Sprachausgabe und 4K-Unterstützung für PS5, Xbox Series X und den PC. Außerdem gibt es jetzt den neuen Schwierigkeitsgrad “Normal”. Warum genau “Normal” jetzt neu ist und der bisherige Schwierigkeitsgrad als “Schwer” eingestuft wird, ist allerdings nicht so ganz klar.
Mit diesem ganzen Hintergrundwissen sollte beim Namen des Spiels bereits die Augenbraue der Verwunderung zucken. Natürlich ist Fantasian eine Anspielung auf Final Fantasy und damit ist der Ton des Spiels auch bereits gesetzt. Wie der Pinocchio der JRPGs wäre Fantasian gerne ein richtiges Final Fantasy geworden, allerdings hatte die blaue Fee scheinbar Urlaub und ohne offizielle Lizenz ist es eben nur eine Hommage vor allem an FF VI und VII geworden.
Die Verwicklungen gehen sogar so weit, dass ihr im Menü zwischen der originalen Kampfmusik oder Titeln aus FF XIV Endwalker und Dawntrail, VII Remake und Rebirth, XVI und Final Fantasy Pixel Remaster wählen könnt. Da hat zwar Sakaguchi an keinem einzelnen davon mitgewirkt (zumindest nicht an den Remaster-Versionen), aber es ist eben der Spirit(s Within), der zählt … und der Komponist.
Neben dem Erfinder von Final Fantasy ist nämlich auch der ursprüngliche Kopf hinter den FF-Soundtracks I bis XI und XIV mit am Start und rechtfertigt so wenigstens ein paar der zur Auswahl stehenden Titel. Fantasian fühlt sich also an wie ein Final Fantasy und klingt wie ein Final Fantasy, sieht aber definitiv nicht so aus.
Die multidimensionale Puppenkiste
Denn bei der Optik geht Fantasian eigene (und eigenwillige) Wege. Für gewöhnlich blicken wir von schräg oben auf unseren Protagonisten Leo und seine illustre Truppe, nur im Kampf verschiebt sich die Sicht und zeigt die Charaktere auch mal von vorne oder hinten. Das Besondere ist allerdings, dass alle Umgebungen, in denen die Charaktere umherlaufen, nicht am Computer generiert, sondern aufwändig per Hand gebaut und anschließend abfotografiert wurden.
Das hat ein bisschen was von einer Modelleisenbahn, erinnert aber noch viel mehr an Tabletop-Games à la Warhammer oder Dungeons & Dragons, wenn man denn viel Mühe in seine Miniaturen und das dazugehörige Gelände steckt. Die nicht gerade kleine Spielwelt in diesem Detailgrad komplett nachzubauen, muss endlos lange gedauert haben. Sogar das Innenleben jedes einzelnen kleinen Hauses wurde liebevoll individuell gestaltet.
Vorhänge bestehen aus Filz, die Glaskugel eines Wahrsagers ist eine Murmel und die gefährlichen Mechteria-Kugeln sehen aus wie Wattebäusche mit aufgemalten “Öffnungen” für das gefährliche Gas, das sie verströmen. Das klingt jetzt ein bisschen nach Deponia (also alles aus Müll), wirkt aber zu keinem Zeitpunkt irgendwie minderwertig, sondern wunderschön und charmant. Die Handarbeit sieht man dem Spiel in jedem einzelnen Bild an und wird mit immer neuen und ausgefalleneren Szenerien nur noch beeindruckender.
Alle Figuren, interagierbaren Objekte und “Spezialeffekte” wurden dann nachträglich in die abfotografierten Hintergründe eingebaut. Das funktioniert leider nicht immer ganz so gut. Die animierten Objekte stechen einem meist sofort ins Auge und beißen sich regelrecht mit der restlichen Optik. Vor allem, da sich die digitalen Objekte wie Kisten und Charaktermodelle relativ leicht für die größeren Fernsehbildschirme oder Monitore hochskalieren ließen, alle Hintergrundfotos aber extrem an Qualität eingebüßt haben.
Die wurden eben einfach für kleine Handy-Bildschirme konzipiert und wirken in der höheren Auflösung extrem verpixelt. Sollte die Kamera es dann auch noch wagen, näher an die Charaktere (und damit auch die Hintergründe) ranzugehen, dann bleibt von den tollen handgemachten Landschaften nur noch verschwommener Pixelmatsch übrig. Wirklich schade.
Dieser Ausschnitt lässt tief blicken
Hinzu kommen dann bedauerlicherweise noch eine schlampige Nachbearbeitung und schlechte bzw. mangelnde Ausleuchtung der Charaktermodelle. Egal, ob wir in der prallen Sonne stehen oder unter einem Baum entlang laufen, Leo sticht heraus wie eine Mag-Lite in der Dunkelkammer und wirkt genau so fehl am Platz. Es wirkt fast so, als hätten die Figuren keinen Schattenwurf bzw. wären “immun” gegen Fremdschatten und leuchten daher den lieben langen Tag fröhlich vor sich hin.
Das klingt zunächst nicht so schlimm, aber die groben Kanten fallen einem permanent und überall auf. Aus irgendeinem Grund leuchten die Ränder der Cutouts teilweise auch noch und sind deutlich sichtbar. Vielleicht wollte man sich bei der Entwicklung Arbeit sparen und dachte, dass es auf dem kleinen Handy-Display ohnehin niemandem auffallen würde, aber auf der PS5 mit einem 4K-Fernseher sieht die Sache halt anders aus.
Nichts ist so nervig wie eine Steuer(ungs)erklärung
Leider ist das nicht das einzige Manko, mit dem ihr durch den Wechsel auf den großen Bildschirm klarkommen müsst. Die Steuerung und das Kampfsystem sind spürbar auf Touch-Steuerung ausgelegt und wurden nicht gut umgesetzt. Die Eingabe mit Controller funktioniert eher mäßig und vor allem in Kombination mit der Kamera nervt das bisweilen so richtig.
Das ist jetzt ein bisschen schwer zu erklären, aber da mich dieses “Feature” über Dutzende Stunden hinweg in den Wahnsinn getrieben hat, will ich versuchen, euch das Problem darzulegen. Stellt euch vor, ihr lauft mit Leo von rechts nach links. Dazu drückt ihr selbstverständlich den Stick nach links. Kommt jetzt (aus Leos Perspektive) eine Linkskurve (also für euch in Richtung des unteren Bildschirmrands), dann drückt ihr natürlich nach unten. In dem Moment schwenkt die fixe Kamera allerdings um 90 Grad, um Leo erneut von rechts nach links über den Bildschirm rennen zu lassen. So weit, so gut.
Andere Spiele würden jetzt die Steuerung auf Leos neue Position ausrichten, sodass nach links drücken wieder nach links laufen entspricht. Fantasian aber macht das nicht und orientiert sich weiterhin an der Position, die Leo hatte, als ihr losgelaufen seid. Obwohl ihr euch also von rechts nach links bewegt, haltet ihr den Joystick weiter nach unten. Kommt jetzt erneut eine Linkskurve, dann geht das Spielchen weiter und nach dem nächsten Kameraschwenk müsst ihr auf einmal bizarrerweise nach rechts drücken, wenn ihr nach links wollt.
Die einzige Lösung dafür ist es, nach jedem Kameraschwenk (und die passieren so ca. alle 10 Sekunden) kurz stehen zu bleiben und den Joystick loszulassen, damit das Spiel wieder eine neue Ausgansposition für die Steuerung übernimmt. Bei einem Titel, an dem ihr durchaus so 70-80 Stunden hängt, zermürbt einen das dauernde Anhalten und Neujustieren ziemlich. Das wäre definitiv besser gegangen.
Mit dem Feuerball die Kurve kratzen
Zum Glück gibt es dann doch noch einige Gründe, wegen derer ich am Ball geblieben bin. Vor allem die Story und die Charaktere sind (neben der ausgefallenen Optik) das Highlight des Spiels. Leo wacht ohne Gedächtnis in einer Welt auf, die von Maschinen beherrscht wird.
Er macht sich auf die Suche nach seinen Erinnerungen und Verbündeten und stolpert dabei mitten in einen Krieg zwischen Ordnung und Chaos, der nichts weniger als die Zerstörung des gesamten Universums zur Folge haben könnte. Von Magie über Götter und riesige Maschinenwesen ist so ziemlich alles dabei, was dem Final-Fantasy-Fan das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Nur die Chocobos fehlen.
Leos zahlreiche Begleiter haben alle ihre kleinen Eigenheiten und Nebengeschichten. Das andauernde Gezanke zwischen rivalisierenden Gruppenmitgliedern wird einfach nicht langweilig und nach der langen Reise hat man fast das Gefühl, man hätte es eher mit einer ganzen Gruppe an Hauptcharakteren zu tun, als mit Protagonist Leo und seinem kleinen Haufen an Nebendarstellern.
Darüber hinaus verfügt jede Figur über ihren ganz eigenen Stil, wenn es zu dem außergewöhnlichen Kampfsystem von Fantasian kommt. In den rundenbasierten Kämpfen stehen sich immer maximal drei eurer Charaktere und einige Gegner gegenüber. Wollt ihr jetzt mit Leos Schwerthieb eure Gegenüber dezimieren, zeigt euch eine Linie an, in welchem Winkel er angreifen würde und welche Gegner er dabei erwischt. Jetzt gilt es, möglichst viele Feinde mit der Attacke zu erfassen, um maximalen Schaden zu verursachen.
Magierin Kina (und einige andere Charaktere) hat aber noch einen Trick im Ärmel. Sie kann ihre Zauber “biegen” und so Gegner in einer Kurve erwischen. Auf die Art lassen sich blockende Feinde ignorieren, um Verwüstung in den hinteren Reihen anzurichten. Auf dem Handy punktet hier natürlich die Touch-Steuerung. Per Finger lässt sich die Flugbahn genau kontrollieren.
Mit einem Gamepad sieht es da leider anders aus. Meistens unterstützt euch das Spiel zwar und schaltet automatisch die Gegner auf, für den perfekten Angriff bedarf es aber oftmals langes Flicken mit dem Analogstick, damit ihr doch noch den einen Millimeter weiter herüberkommt, um auch noch den letzten Feind ins Visier zu kriegen.
Trotz der langen Fummelei macht es einen Heidenspaß, immer den perfekten Angriffswinkel zu suchen, Schwächen aufzudecken und auszunutzen und Züge vorauszuplanen, nur um dann alles wieder umzuschmeißen, wenn der Boss doch noch mit einer neuen Mechanik aufwartet. Denn auch, wenn die technischen Mängel gravierend sein mögen, strotzt Fantasian nur so vor kreativen Ideen (eben auch bei Bossen) und epischen Kämpfen. Hironobu Sakaguchi hat es einfach drauf. Da ist es gut zu wissen, dass er bereits an einem neuen Spiel arbeitet (hoffentlich nicht fürs Handy) und Fantasian nicht wirklich seine finale Fantasie geworden ist.
Fazit
von Sebastian Ruppert
Story hui, Portierung pfui!
Es ist schwer, für Fantasian eine eindeutige Empfehlung oder Warnung auszusprechen. Ja, die Steuerung ist grauenvoll und die verpixelten Hintergründe sorgen für Kopfschmerzen, aber auf der anderen Seite habe ich trotz allem ganze Nächte durchgemacht, weil mich Leos Story so gefesselt hat.
Die Entstehungsgeschichte und die mit dem Smartphone verbundenen Einschränkungen bei der Entwicklung merkt man dem Spiel am PC und auf Konsolen deutlich an. Dennoch ist es gut, dass dieses Kleinod nicht in den Tiefen des Apple Arcade verschollen ist, sondern jetzt einer breiteren Gruppe an Gamern zur Verfügung steht.
>> Alt, aber noch frisch: 10 Playstation-Klassiker, die verdammt gut gealtert sind <<
Wer bereit ist, sich durch die schreckliche Kamera und die fummelige Steuerung durchzukämpfen und bei den Hintergründen nicht ganz so genau hinzuschauen, der bekommt mit Fantasian: Neo Dimension ein großartiges und absolut unterschätztes Rollenspiel, das zumindest von Charakteren und Story her problemlos mit den großen Namensvettern mithalten kann.
Überblick
Pro
- epische Story aus der Feder des FF-Erfinders
- kurzweiliges Kampfsystem
- charmante Charaktere
- tolle musikalische Untermalung
Contra
- schlechte Umsetzung der Touch-Steuerung
- viele kleine Fehler bei der Grafik
- Geschichte braucht ein bisschen, bis sie in Fahrt kommt
Awards
- PC
- NSw
- PS5
- XSX
- PC
- NSw
- PS5
- XSX